27.02.2016
Fußballer sollen die Auswüchse auf den Sportplätzen eindämmen
Jahrzehnte ist es her, dass sich nach einer Kreisliga-Begegnung in Konstanz der Schiri gemeinsam mit den Einheimischen wie in einer Wagenburg bei verrammelten Fensterläden im Clubheim verschanzte, draußen rundum umzingelt von den Gästen. Mehrere Polizei- und Krankenfahrzeuge mussten zur Befreiung anrücken. Gewalt im Fußball ist zwar ein aktuelles Thema, aber kein neues. „Wer den Schiedsrichter belästigt, beschimpft oder beleidigt, hat den sofortigen Verweis vom Sportplatz zu gewärtigen. Der Vereinsvorstand.“ Früher fand man Emaille-Schilder mit diesem oder ähnlichem Wortlaut auf fast jedem Sportplatz. Nicht nur das abgebildete Schild ist in die Jahre gekommen und wenn überhaupt, dann meist nur noch in irgendwelchen Kellerräumen zu finden. Nein, „früher“ war nicht alles besser, aber vieles war eben anders. Auch „früher“ waren Respekt und Anstand nicht immer gegeben. Schlimmer ist, dass die Auseinandersetzungen gewalttätiger wurden und dass vermehrt rassistische Beleidigungen festzustellen sind. Zudem kommen andere Formen der Gewalt hinzu. So wird schon mal die Frau eines Schiedsrichters telefonisch bedroht, auch mal einem jugendlichen Schiedsrichter in der Schule von Mitschülern, deren Spiel er leitet, Gewalt angekündigt. Genauso schnell, wie man dabei ist, im Zeichen zunehmenden Unwohlseins die Vorkommnisse überzubewerten, genauso wenig darf man sich von einem „Alles-nicht-so-schlimm“-Gedanken einlullen zu lassen. Daran ändert nichts, dass im Verhältnis zu den großen Brennpunkten der Republik wie etwa Köln, Berlin oder Frankfurt in hiesigen Regionen noch überschaubare Szenarien gegeben sind. Unabhängig von allen anderen anderen Aspekten gilt aber der Grundsatz, dass jeder Spielabbruch einer zuviel ist. Im Bezirk Bodensee gab es in der aktuellen Saison bereits vier Spielabbrüche auf den Sportplätzen, davon glücklicherweise nur einer wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Schiedsrichter. Einmal wollte ein des Feldes verwiesener Spieler den Platz nicht verlassen, zweimal fühlte sich ein Team benachteiligt. Ganz aktuell nun auch noch ein Spielabbruch bei einem „Freundschafts“-Hallenturnier, bei dem nicht nur Spieler und Trainer verwickelt waren, sondern auch Zuschauer von der Tribüne auf das Spielfeld sprangen, um aktiv mitzumischen. Auch wenn die Angriffe auf Schiedsrichter meist spektakulärer ausfallen, darf man schließlich nicht vergessen, dass ein Großteil der Gewalt zwischen Spielern, Offiziellen und Zuschauern abläuft. Besonders widerlich sicher auch, wenn sich schon die Eltern von Kindern und Jugendlichen gegenseitig verklopfen, auch mal Kinder von „gegnerischen“ Eltern angegriffen werden. Wer dies schon mal gesehen hat, der versteht ganz bestimmt, weshalb inzwischen bei den jüngsten Kickern die Eltern auf „Sicherheitsabstand“ gehalten werden.
Sucht man nach einer allgemein gültigen Lösung des Problems, dann erinnert dies an die Suche nach der „Quadratur des Kreises“ – im ursprünglichen Sinne nicht möglich. Diese Erkenntnis hindert die Verantwortlichen glücklicherweise nicht daran, Ansätze zu finden, um die Lage Schritt für Schritt zu beruhigen. Der obligatorische Handschlag der Beteiligten vor dem Spiel ist schon ein Ansatz, der nicht ohne Wirkung blieb, aber allein damit läßt sich eine dauerhafte Besserung nicht erreichen. Als weitere Änderung kam hinzu, dass jetzt nicht nur der Heim-, sondern auch der Gastverein im Online-Spielbericht bei jedem Spiel einen Verantwortlichen für Platzordnung namentlich aufführen muss. Dieser Verantwortliche (nicht zu verwechseln mit den Platzordnern oder gar dem Platzwart!) muss beim Spiel anwesend sein und erforderlichenfalls sowohl der Platzordnung, sondern auch dem Schiedsrichter und der Polizei als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Wie sehr diese Probleme unter den Nägeln brennen, das zeigt sich unter anderem daran, dass der DFB das Thema zu einem Stützpfeiler des „Masterplans“ gemacht hat, mit dem der Amateurfußball in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts gefördert und am Laufen gehalten werden soll. Eine ausgeprägte Rolle kommt dabei den Ordnungsdiensten zu. Der DFB hat dazu ein Online-Seminar veröffentlicht, druckte Flyer und verschenkte Ordnerwesten an die Vereine, mit Leben versorgt werden müssen die Hilfsmittel aber vor Ort. Um das voran zu treiben, hat der Südbadische Fußballverband Anfang 2015 Hans-Joachim Meyer aus Bahlingen zu seinem Sicherheitsbeauftragten bestellt. Er kennt die Probleme der Vereine nicht nur als 2. Vorsitzender des Regionalligisten Bahlinger SC, sondern auch und vor allem als Leiter des Polizeireviers Emmendingen.
Als „Reisender in Sachen Sicherheit“ besuchte Mayer in den letzten Monaten die sechs Bezirke des SBFV, lud dort die Vereine ein, um im Rahmen der „Ordnerschulung - Sicherheit auf Sportanlagen“ –so die offizielle Ausschreibung– „Vereinsfunktionäre für die Sicherheitsbedürfnisse auf den Sportplätzen aller Amateurvereine, unabhängig von der Liga, zu sensibilisieren. Informationen über die mittlerweile verbreitete Gewalt unterschiedlichster Ausprägung auf den Spielfeldern, unter Zuschauern und im Umfeld der Sportanlagen zu geben. Grundlagen für einen funktionierenden Ordnerdienst zu vermitteln und über Aufgaben, Rechte und Pflichten aufzuklären.“ Im Bezirk Bodensee fanden diese Schulungen in Aach-Linz und Steißlingen statt, doch erstaunlicherweise verpaßten 25 Vereine die Chance, Informationen zu diesem „heißen“ Thema aus kompetenter Hand zu erhalten. Am 15. Februar wurde diesen Clubs in Hilzingen eine Nachschulung angeboten – wer jetzt immer noch nicht teilgenommen hat, dem soll „gebührenpflichtig“ die Wichtigkeit der Ordnerschulung nähergebracht werden.
Von vornherein klar sein muss man sich, dass es im unteren Amateurbereich nicht um die Zusammenarbeit von Vereinen mit den professionellen Security-Unternehmen geht, sondern um jene Begegnungen, bei denen der Vorstand selbst sich eine Armbinde „Ordner“ überstreift oder vielleicht sogar das Glück hat, dass irgendein Anwesender sich die Binde verschämt in die Tasche steckt – „für den Notfall“. Einen ersten Schritt zur Stärkung des Ordnungsdienstes bilden die vom DFB an alle Amateurvereine verteilten Ordnerwesten, die so Hans-Joachim Meyer in seinem Vortrag, „auch den Hilfesuchenden zeigen, wo sie jemanden finden, der ihnen hilft“. Im benachbarten Württemberg müssen inzwischen die Ordner mit angelegter Weste vor dem Spiel persönlich beim Schiedsrichter vorstellig werden. Da bewegte Bilder die Aufmerksamkeit besonders wecken, bediente sich der Referent der NDR-Reportage „Fußball brutal“, die erkennbar bewegte.
Man sah aber an den erstaunten Gesichtern, dass bei den Vereinen nur wenig Kenntnis darüber vorhanden ist, auf welchen Grundlagen die Ordner agieren, welche Rechte und Pfllichten sie haben. So haben Ordner aufgrund ihrer Berufung im Auftrag des Vereins die gültige Platzordnung durchzusetzen, Störer vom Platz zu verweisen und bei der Schlichtung von Streitigkeiten mitzuwirken, notfalls durch Verständigung der Polizei. Sogar das Betreten des Spielfeldes ist ihnen bei Konflikten möglich und natürlich haben sie den/die Schiedsrichter möglichst unbeschadet in die Kabine zu begleiten. Müssen Ordner ihre Pflicht durch den Einsatz von Gewalt durchsetzen, so ist ihnen dies über das sogenannte Haus- und Jedermannsrecht ist notfalls im angemessenen und verhältnismäßigen Umfang als letztes Mittel erlaubt. Zusammengefaßt bedeutet dies für den Bahlinger Vortragenden: „Das Hauptziel des Ordners ist es, vor, während und nach einem Fußballspiel nach bestem Wissen und Gewissen Schäden und Gefahren von der Veranstaltung, ihren Besuchern und allen Beteiligten abzuwenden, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu begeben.“ So fordert er die Ordner eindringlich darauf hin, zum eigenen Schutz riskantes Einschreiten zu vermeiden, wenn nötig einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten, und wenn die Situation es erfordert, die Polizei zu rufen: „Auch wenn Sie anderen Menschen helfen, sollten Sie an Ihre eigene Sicherheit denken!“
Und wenn es auch nicht machbar ist, alles sofort zum Guten zu wenden, so wäre vielleicht manchmal schon ein einfaches Plastikschild ein erster Ansatz: „Wer den Schiedsrichter belästigt, beschimpft oder beleidigt, ...“
Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich unter folgenden Links:
Online-Seminar des DFB:
http://seminare.fussballtraining.com/vereinsmitarbeiter-in/online-seminars/show/seminar/0/ordnungsdienst-bei-amateuerfussballveranstaltungen/
Präsentation Ordner-Schulung des SBFV:
http://www.sbfv.de/sites/default/files/downloads/Sicherheit%20auf%20den%20Sportanlagen%20-%20Schulung%20f%C3%BCr%20Vereinsvertreter.pdf
DFB-Flyer Ordnungsdienst:
http://www.sbfv.de/sites/default/files/downloads/36366-Praeventionsmassnahme_Ordnerwesten_Flyer.pdf
DFB-Einsteckkarte Ordnungsdienst:
http://www.sbfv.de/sites/default/files/downloads/36365-Praeventionsmassnahme_Ordnerwesten_Einsteckkarten.pdf